Die Vielfalt der Vulven – Ein Fest der Einzigartigkeit und Selbstliebe
- Ladina Gmür
- 18. Dez. 2024
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 17. März
Vulven sind so einzigartig wie Gesichter
Keine Vulva gleicht der anderen – sie unterscheiden sich in Größe, Form, Farbe und Struktur. Besonders die Vulvalippen, also die inneren und äußeren Lippen der Vulva, variieren stark: Manche sind klein und zart, andere kräftig und ausdrucksstark. Wir sprechen bewusst von Vulvalippen, weil das Wort „Schamlippen“ mit Scham behaftet ist und negative Gefühle oder Unsicherheiten auslösen kann. Der Begriff „Vulvalippen“ feiert die Schönheit und Natürlichkeit dieses Teils des Körpers, frei von jeglicher Wertung oder Stigmatisierung
Auch die Klitoris, ein zentraler Punkt sexueller Lust, zeigt sich in Größe und Lage in unzähligen Variationen. Die Farben der Vulva reichen von hellem Rosa bis zu dunklen Brauntönen, kombiniert mit Texturen, die mal glatt, mal gefaltet sind.
Diese Vielfalt ist normal und wunderschön. Wissenschaftlich betrachtet gibt es keine „durchschnittliche“ oder „normale“ Vulva. Jede Vulva ist einzigartig, genau wie die Menschen, die sie besitzen.
Wissenschaft bestätigt die Vielfalt
Eine bahnbrechende Studie des Luzerner Kantonsspitals aus dem Jahr 2018 unterstreicht, wie groß die Variationsbreite bei Vulven ist. Forscher:innen haben über 600 Vulven vermessen und festgestellt, dass die anatomischen Unterschiede so groß sind, dass es unmöglich ist, eine „Normvulva“ zu definieren.
Diese Erkenntnisse sind bedeutsam, da sie wissenschaftlich bestätigen, was Kunstprojekte und Aktivist:innen bereits seit Jahren betonen: Vielfalt ist die Norm, und jede Vulva ist einzigartig.
Veränderungen im Laufe des Lebens
Wie der Rest unseres Körpers unterliegt auch die Vulva im Laufe des Lebens natürlichen Veränderungen. Diese können sich auf die Form, Struktur und Funktion auswirken:
Während der Pubertät: Vulvalippen entwickeln sich weiter, ihre Größe und Farbe können sich verändern.
Während und nach der Schwangerschaft: Hormonelle Veränderungen, Geburt und Stillzeit können die Vulva beeinflussen, etwa durch Lockerung des Gewebes oder Farbveränderungen.
Mit zunehmendem Alter: Der natürliche Rückgang von Östrogen nach den Wechseljahren kann dazu führen, dass die Vulvalippen dünner und weniger elastisch werden. Auch die Farbe und Empfindlichkeit können sich verändern.
Diese Veränderungen sind normal und Teil eines natürlichen Lebensprozesses. Sie zeigen die Anpassungsfähigkeit und Wandlungsfähigkeit unseres Körpers und sollten mit Respekt und Selbstakzeptanz betrachtet werden.
Sollten jedoch Unsicherheiten oder Sorgen über bestimmte Veränderungen bestehen, ist es wichtig, diese professionell abklären zu lassen, um mögliche gesundheitliche Ursachen auszuschließen.
Woher kommen Schönheitsideale für Vulven?
Schönheitsideale sind Teil kultureller und gesellschaftlicher Entwicklungen und prägen auch die Wahrnehmung von Vulven. Dabei gibt es mehrere Faktoren, die zu bestimmten Vorstellungen von Ästhetik beitragen können:
Die Pornoindustrie: In pornografischen Darstellungen werden Vulven oft einheitlich und symmetrisch präsentiert. Diese Bilder sind jedoch häufig das Ergebnis von ästhetischen Eingriffen oder digitaler Bearbeitung und stellen nicht die Vielfalt dar, die in der Realität existiert.
Mediale Darstellung: Aufklärungsbücher und Medien verwenden oft Illustrationen oder Darstellungen, die auf vereinfachten, normierten Bildern basieren. Dadurch entsteht der Eindruck, es gebe eine "typische" oder "normale" Vulva.
Enthaarungstrends: Durch die zunehmende Sichtbarkeit der Vulva infolge von Intimenthaarung haben sich auch ästhetische Vorstellungen verstärkt, da der Fokus mehr auf die Details des Intimbereichs gerichtet wird.
Kommerzialisierung durch die Schönheitsindustrie: Der Markt für ästhetische Intimchirurgie bietet Möglichkeiten, die Vulva nach individuellen Wünschen zu verändern. Begriffe wie „Designer-Vagina“ haben diese Angebote bekannter gemacht, wodurch sie auch die Vorstellungen von Ästhetik beeinflussen können.
Kulturelle Einflüsse: In einigen Kulturen gibt es spezifische Vorstellungen darüber, wie eine Vulva aussehen sollte, die oft von Traditionen, Bräuchen oder Schönheitsstandards geprägt sind.
Diese Faktoren spiegeln gesellschaftliche Trends und persönliche Entscheidungen wider. Dennoch ist es wichtig, die Vielfalt und Natürlichkeit von Vulven zu betonen und Schönheitsideale kritisch zu hinterfragen, wenn sie Druck oder Unsicherheiten erzeugen.
Der Boom der Intimchirurgie und seine Risiken
Seit den frühen 2000er-Jahren verzeichnet die Intimchirurgie weltweit die höchsten Wachstumsraten unter den plastischen Eingriffen. Auch in der Schweiz ist dieser Trend deutlich sichtbar. Die Zahl der Eingriffe wie Vulvalippenkorrekturen, Vaginalstraffungen oder Klitorisvorhautreduktionen hat massiv zugenommen.
Es gibt vielfältige Gründe für solche Eingriffe, etwa medizinische Indikationen wie Schmerzen, Beschwerden im Alltag oder beim Sport sowie ein persönliches Bedürfnis nach Wohlbefinden und Selbstvertrauen. Wichtig ist jedoch, sich im Vorfeld umfassend zu informieren, realistische Erwartungen zu haben und eine qualifizierte Fachperson zu konsultieren. Eine gründliche Abklärung über die Notwendigkeit, den Ablauf und mögliche Konsequenzen ist entscheidend für ein zufriedenstellendes Ergebnis.
Letztlich liegt die Entscheidung für einen intimchirurgischen Eingriff in der individuellen Selbstbestimmung jeder Person.
Viele dieser Operationen basieren jedoch auf unrealistischen Schönheitsidealen und bergen erhebliche Risiken:
Medizinische Komplikationen: Wundheilungsstörungen, Blutergüsse, Infektionen, Vernarbungen.
Funktionelle Beeinträchtigungen: Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, Gefühlsverlust oder Taubheitsgefühle.
Psychische Belastungen: Unzufriedenheit mit dem Ergebnis, die oft zu Folgeoperationen führt.
Wer sich für eine Intimoperation entscheidet, sollte daher sorgfältig abwägen, sich mit Fachpersonen beraten und sichergehen, dass der Eingriff unter den bestmöglichen Bedingungen erfolgt.
Kunstprojekte als Botschafter:innen der Vielfalt
Inmitten dieses Drucks gibt es zahlreiche Kunstprojekte, die die Vielfalt und Schönheit von Vulven sichtbar machen und feiern:
The Great Wall of Vagina von Jamie McCartney: Eine beeindruckende 9 Meter lange Wand aus Gipsabdrücken von 400 Vulven, die deren Einzigartigkeit und Normalität feiert.
The Vulva Gallery: Handgezeichnete Illustrationen, die die Vielfalt von Vulven in all ihren Formen und Farben darstellen – ein kraftvolles Werkzeug zur Aufklärung und Selbstakzeptanz.
Rahel Locher’s "Lippenbekenntnisse": Schwarz-Weiß-Fotografien von Vulvalippen, die deren Einzigartigkeit und Schönheit dokumentieren.
Ellie Sedgwick: Fotografien, die Vulven aus verschiedenen Perspektiven einfangen und ihre Individualität ins Zentrum rücken.
Diese Kunstprojekte schaffen Bewusstsein und helfen Menschen mit Vulva, zu erkennen, dass ihre Körper genau richtig sind – so, wie sie sind.
Ein Plädoyer für Selbstliebe und Vielfalt
Jede Vulva ist ein Kunstwerk der Natur, und die Vielfalt ist ein Ausdruck von Stärke und Individualität. Wissenschaftliche Studien, Kunst und Aufklärung zeigen uns, dass Schönheitsideale hinterfragt werden müssen.
Lass uns die Vielfalt feiern. Lass uns die Schönheit in jeder Vulva sehen. Und vor allem: Lass uns die Einzigartigkeit unseres eigenen Körpers lieben und wertschätzen.
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